Dr. Katharina Lichtner

Katharina Lichtner FLRF

Dr. Katharina Lichtner
Geschäftsführerin, Familie Larsson-Rosenquist Stiftung

Die Operationalisierung der Stillpolitik ist ein wichtiges Projekt der Stiftung, was bedeutet das?

Auf der Grundlage einer nationalen Stillpolitik soll ein landesweiter, mehrjähriger Aktionsplan zur nachhaltigen Verbesserung des Stillumfelds entstehen. Die Operationalisierungsmethode integriert laufende Aktivitäten, beschreibt verschiedene demografische Zielgruppen von Frauen und verwendet einen menschenzentrierten Designprozess, um die Hauptprobleme zu identifizieren, mit denen sie konfrontiert sind. Ein systematischer Umsetzungsplan baut auf die bestehenden Systeme eines Landes auf und enthält Vorschläge für geeignete Interventionen und umreisst die erwarteten Kosten. 


Wie wurde dies zu einem zentralen Anliegen der Stiftung?

Bei der Entwicklung der Stiftungsstrategie fiel uns die enge Verbindung zwischen Wissenschaft und nationaler Politik auf, was für eine gut formulierte Gesundheitspolitik wichtig ist. Gleichzeitig laufen auf lokaler oder regionaler Ebene parallel Projekte verschiedener Organisationen zur Förderung des Stillens, oft ohne jegliche Koordination. Es gab keinen Dialog über die Umsetzung einer Stillpolitik in einen umsetzbaren Plan. 

Wir stellen fest, dass es ein solides Verständnis darüber gibt, warum das Stillen gefördert werden sollte. Weniger Klarheit gibt es bei der Frage, wie die notwendigen Veränderungen herbeigeführt werden können. Diese Wissenslücke stellt ein Hindernis für die nachhaltige Verbesserung des Stillumfelds dar. Wir sahen dies als eine Gelegenheit, innovative Ideen zu entwickeln, um diese «Operationalisierungslücke» zu schliessen und die Gesundheit von Mutter und Kind weltweit zu verbessern. 


Was ist das Innovative an dieser Methode? 

Wir plädieren für einen Paradigmenwechsel weg von Einzellösungen hin zu einem prozessorientierten Ansatz. Die Gründe, warum Frauen Schwierigkeiten mit dem Stillen haben, sind immer ein komplexes Gemisch von Problemen, die nicht durch eine einzelne Massnahme gelöst werden können. Weiter entwickelten wir ein innovatives Konzept zur Stratifizierung von Zielgruppen oder «Persona». Und schliesslich integriert der Ansatz wissenschaftliche Erkenntnisse in die operative Planung, um sowohl Hindernisse für das Stillen als auch erprobte Interventionen zu identifizieren.


Sie testen die Methode in Ghana. Wie gehen Sie dabei vor?

Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Ubora Institut wenden wir eine theoretische Methode in der Praxis an. Wir werden 2024 einen Fünfjahresplan mit vollständigen Kostenkalkulationen fertigstellen, der aufzeigt, wie Ghana sein Stillumfeld nachhaltig verbessern kann. Während die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine ausformulierte Gesundheitspolitik ein gut etablierter Prozess ist, sieht es bei der weiteren Umsetzung zur Erreichung der in der Politik ausformulierten Ziele ganz anders aus. Die Aktivitäten sind stark zersplittert, oft unkoordiniert, in falscher Reihenfolge und werden von mehreren Parteien durchgeführt, die manchmal gegensätzliche Ziele verfolgen. Das Ergebnis? Die Bemühungen, die Stillraten zu erhöhen, sind nicht so effektiv, kapitalschonend oder nachhaltig, wie sie sein könnten. 


Die Operationalisierungsmethode

Wenn man jedoch zu einem umfassenden, mehrjährigen Plan übergeht, ist eine positive, dauerhafte Wirkung wahrscheinlicher. Um dies zu erreichen, umfasst die Operationalisierungsmethode fünf verschiedene Schritte: 

1. Eine Transparenzphase, in der vergangene und bestehende Verbesserungsbemühungen skizziert und die wichtigsten Einflussnehmer und Interessengruppen, länderspezifische wissenschaftliche Literatur und aktuelle Elemente der Stillpolitik ermittelt werden. 

2. Entwicklung von «Personas», d. h. demografische Gruppierung aller Frauen im gebärfähigen Alter in Zielgruppen oder Personas für die anschliessende Analysephase und als Grundlage für die Umsetzung in grossem Massstab.

3. Eine Analysephase mit halbstrukturierten Interviews, um die wichtigsten Stillhindernisse zu identifizieren und zu priorisieren. In Ghana wurden etwa 400 Interviews mit Müttern und wichtigen Einflussnehmern durchgeführt.

4. Die Strategieentwicklungs- und Planungsphase, in der geeignete Lösungen, organisatorische Anforderungen und ein Implementierungsfahrplan festgelegt werden.

5. Eine Kalkulationsphase, in der ein umfassender Finanzplan entwickelt wird, einschliesslich einer Finanzierungsstrategie für den Fall, dass die Länder nicht in der Lage sind, die Kosten mit den vorhandenen Budgets zu tragen. 


Die Vorteile der Operationalisierung

Ein umfassender, mehrjähriger Plan bietet deutliche Vorteile. Er ermöglicht es den Regierungen, die Umsetzung der Stillstrategie selbst in die Hand zu nehmen und besser zu koordinieren. Die Aktivitäten können mit Gesundheits-, Bildungs- oder anderen Systemen abgestimmt werden und auf vorhandene Ressourcen zu rückgreifen. Sie können in der richtigen Reihenfolge durchgeführt werden, und es können Synergien genutzt werden. Darüber hinaus werden der Aufbau und die Erhaltung von Kapazitäten verbessert, da Fachwissen im Land selbst aufgebaut wird. Insgesamt dürften sich das Verhältnis zwischen Finanzierung und Wirkung sowie die Nachhaltigkeit erheblich verbessern. 

Die Methode verbessert auch die landesweite Umsetzung in grossem Massstab. Im Mittelpunkt steht ein innovativer Ansatz zur Definition von Personas, Gruppen von Frauen mit ähnlichen sozioökonomischen Gegebenheiten, basierend auf demografischen Daten. Dies dient drei Hauptzwecken: Identifizierung der wichtigsten Hindernisse für ein erfolgreiches Stillen für jede Persona, Bereitstellung von Informationen darüber, wie sie am besten für die Durchführung der Intervention erreicht werden können, und schliesslich Bereitstellung von Informationen über die Anzahl und die Aufenthaltsorte – entscheidend für die Entwicklung von robusten Scale-up-Ansätzen und die Bestimmung der damit verbundenen Kosten. Die Verwendung des Persona-Konzeptes verhindert, dass man sich auf Lösungen konzentriert, die in kleinen Pilotprojekten funktionieren, aber aufgrund von Kosten oder technischen Hindernissen nicht skaliert werden können.

In der Anfangsphase der Entwicklung der Operationalisierungsmethode wurde deutlich, dass die Regierungen Unterstützung benötigen, da sie entweder nicht über genügend Personal und/oder nicht über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen. Daher finanziert und baut die Stiftung gleichzeitig ein Sozialunternehmen in Ghana auf, das als Kompetenzzentrum für die Operationalisierung dienen soll. Mit dem Partner Ubora Institute, selbst ein Sozialunternehmen, hat die Stiftung den perfekten Ort dafür gefunden. Das neue Kompetenzzentrum soll Ghana und später andere Länder in Westafrika unterstützen. Wir planen, dieses Geschäftsmodell als Blaupause für die Gründung anderer Sozialunternehmen im globalen Süden zu nutzen. 


Das Projekt «Breastmilk for Life»

Seit Anfang 2022 haben wir gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Ubora Institute in Ghana die Operationalisierungsmethode entwickelt und getestet. Die ersten vier Schritte sind abgeschlossen und wir gehen davon aus, dass wir den fünften Schritt bald erfolgreich abschliessen werden. Wir haben mit Freude festgestellt, dass jeder Schritt dank seines systematischen, aber flexiblen Aufbaus mit geringfügigen Änderungen wie geplant funktioniert hat. Wir haben für jeden Schritt den besten praktischen Ansatz ermittelt, einschliesslich einer KI-Anwendung, welche die für die Ermittlung von Stillhindernissen erforderliche Interviewanalyse erheblich verkürzt. Wir werden die Methode und die gewonnenen Erkenntnisse in einem frei verfügbaren Handbuch veröffentlichen, um anderen Ländern die Umsetzung von Breastmilk for Life zu ermöglichen. 

Wir hoffen, dass die Operationalisierungsmethode ein Katalysator für die Verbesserung der Stillraten auf der ganzen Welt sein wird und für weitere Gesundheits- und Ernährungsinitiativen übernommen wird, um die Gesundheit von Säuglingen und Müttern weltweit zu verbessern und so zur Erreichung der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen beizutragen.