Professor Ernst Fehr

Ernst Fehr

Professor Ernst Fehr
Larsson-Rosenquist Stiftung-Zentrum für die Ökonomie des Stillens (LRF CEB), Universität Zürich

Das LRF CEB untersucht die verhaltensbedingten Faktoren und die wirtschaftlichen Auswirkungen des Stillens mit dem Ziel, empirische Erkenntnisse für die Gestaltung von Gesundheitspolitik und Gesundheitsprogrammen zu gewinnen, die das Stillen fördern. Können Sie das näher erläutern?

Stillende Mütter stehen vor vielen Hindernissen. Das fängt damit an, dass es das Kind am Anfang noch nicht richtig macht, dass es weh tut, dass Mütter keine Zeit finden, weil sie zum Beispiel einen höheren Beschäftigungsgrad haben und wenig Gelegenheit haben zu stillen. 

Wir kennen viele potentiell hilfreiche Ansätze («Nudges»), um diese Hindernisse abzubauen. Wir testen beispielsweise einen Ansatz in einem unserer Projekte in China, wo man Frauen eine App zur Verfügung stellt, damit sie einfachen Zugang zu Wissen und Beratung haben. Die Ergebnisse dieser Forschung können dann in ein Gesundheitsprogramm einfliessen.

Aber häufig gibt es wenig empirisch solides Wissen darüber, was denn wirklich hilft. Aus vielen anderen Bereichen gibt es aber empirische Befunde, dass manche Nudges riesengrosse, andere kleine bis gar keine Wirkung haben. A priori haben ja alle Ansätze etwas für sich! Aber die Dinge sind so komplex, und abhängig von den konkreten Umständen in den einzelnen Ländern, in denen wir Massnahmen implementieren, dass viel schieflaufen kann. Da ist empirisches Wissen unabdingbar, damit man die Spreu vom Weizen trennen kann und die wirklich effektivsten Massnahmen unter den konkreten Umständen in den einzelnen Ländern findet.


Das Wirtschaftswissenschaftliche Institut der Universität Zürich gehört regelmässig zu den 5 besten wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten in Europa. Sie sehen es als Teil Ihrer Aufgabe, Armut zu bekämpfen und die Wirtschaft nachhaltig zu machen: Welchen Beitrag kann das LRF CEB leisten?

Bezüglich Armut kann das LRF CEB helfen, durch seine Forschung das Humankapital, also Bildung und Fähigkeiten, und das Gesundheitskapital von Individuen massgeblich zu verbessern. Das geschieht dadurch, dass man solides Wissen über die kausalen Auswirkungen des Stillens generiert. Die meisten Erkenntnisse, die wir bisher haben, sind korrelativer Natur. Wenn zum Beispiel das Stillen bei Kindern zu besseren kognitiven Fähigkeiten und zu besserer Immunität führt, sind gestillte Kinder gesünder, und gesündere Kinder lernen mehr und haben letztlich dadurch höhere Chancen. Wenn Kinder in der Schule häufiger krank sind, bleiben sie in der Schule und später auch am Arbeitsmarkt zurück. Die Grundidee ist also, eine Verbesserung des Gesundheits- und Humankapital von Individuen durch geeignete Politikmassnahmen zu erreichen, basierend auf soliden Erkenntnissen des LRF CEB.


Das LRF CEB ist das erste Forschungszentrum der Welt, das sich mit der Verhaltensökonomie des Stillens befasst. Welche Bedeutung hat die Schenkung der FLRS, um dieses Forschungsthema innovativ zu gestalten und fest zu verankern?

Ich glaube, man kann die Bedeutung für ein solches Forschungs-Center, wie es jetzt hier von FLRS praktisch ermöglicht wurde, kaum überschätzen, weil die Forschung sonst nicht stattfinden würde! Das ist ein Gebiet, das bisher von praktisch allen Verhaltenswissenschaften, inklusive Behavioral Economics, vernachlässigt wurde. Es war ein Nischengebiet im Bereich der Gesundheitswissenschaften. Es haben sich Mediziner damit beschäftigt. Aber es fehlte die ganze Verhaltensdimension. Doch letztlich wird alles durch Verhaltensänderungen implementiert, und deshalb müssen wir Verhalten in Bezug auf das Stillen besser verstehen. In diesem Sinne werden hier erstmals verhaltensökonomische und generell ökonomische Gedanken in verstärktem Masse auch auf die Problematik des Stillens angewendet.


Haben Sie das Gefühl, dass das auch Impulse innerhalb Ihres Instituts geben kann, oder ist das wirklich auf das Thema beschränkt?

Sobald man ein solches Forschungsgebiet anstösst und erfolgreich darin forscht, hat das Ausstrahlung. Ein schönes Beispiel ist die Forschung von Janet Currie, die an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich ein Ehrendoktorat hat und in Princeton lehrt. Sie hat in den frühen 90er Jahren mit Forschung zu Kindern angefangen. Da sagten die Ökonomen anfänglich, das habe nichts mit Ökonomie zu tun. Heute ist es ein breit etabliertes Forschungsgebiet, wo hunderte Aufsätze erscheinen. Sie war eine der Pionierinnen. Das Wichtige daran ist, dass solide Forschung gemacht wird, die solide Erkenntnisse und politik-relevantes Wissen generiert, das auf verlässlichen Befunden beruht.

Da hören dann die anderen, da hört das Fach automatisch hin. Aber nicht nur das Fach, es strahlt auch über das Fach hinaus aus. Ein weiteres Beispiel ist die ökonomische Forschung zu frühkindlicher Bildung. Das war früher ein völlig vernachlässigtes Nischengebiet, in dem sich ein paar Erziehungswissenschaftler getummelt haben. Aber seit wir solide Evidenz haben, welche Bedeutung die frühkindliche Bildung für die Humankapitalbildung hat, dass sich frühe Rückstände nicht nur perpetuieren, sondern verstärken, ist das Interesse an diesem Gebiet enorm gestiegen. Das wird hier auch so sein. Ein solches Endowment entfaltet daher katalytische Wirkung.


Das LRF-Zentrum für Neuroentwicklung, Wachstum und Ernährung des Neugeborenen (LRF NGN) an der Universität Zürich betrachtet, im medizinischen Sinne, in der Neonatologie, aber auch bei pre-term geborenen Kindern, die ganze Entwicklung des zentralen Nervensystems im Zusammenhang mit dem Stillen. Sehen Sie da Synergien? Wie gehen Sie dieses Thema in Ihrer Forschung an?

Synergien ergeben sich dadurch, dass wir aus den Grundlagen-Erkenntnissen über den Einfluss des Stillens auf die neuronale Entwicklung des Kindes unsere Folgerungen ziehen.  Eine Frage ist ja zum Beispiel, ob das für jede Form von Stillen gilt? Dazu tragen viele Detailerkenntnisse bei, die ich noch nicht genau kenne.

Die Details, die die neurologischen Forschungen beschreiben, werden von Relevanz sein können für die Art der Interventionen, die man am besten plant. Ich meine: Gibt es zum Beispiel Mindestzeiten für das Stillen? Wenn man das weiss, ist das eine wichtige Information, die politik-relevant ist. In diesem Sinne hat diese Grundlagenforschung wichtige potenzielle Konsequenzen für das Design von Politikmassnahmen. Wir sollten keine Massnahmen implementieren, die sich nicht auf robuste Forschungsergebnisse abstützen. Das wäre absurd. Eine optimale Politikmassnahme muss auf diese Erkenntnisse Rücksicht nehmen.


LRFS und Ihr Institut haben jetzt schon 4-5 Jahre zusammengearbeitet. Würden Sie ausserhalb obiger Themen noch etwas ergänzen wollen?

Die Tatsache, dass Prof. David Yanagizawa-Drott aus unserer Fakultät eigene Forschungen in unserem Gebiet beginnen will, freut mich sehr und zeigt, dass um die Thematik ein Gravitationszentrum entsteht, das spannend und neu ist. So sind viele Forschungsrichtungen entstanden: Als ich nach Zürich kam, gab es zu Behavioural Economics überhaupt noch nichts. Die Neuro-Ökonomie, die Forschung zur Ökonomik der Kinderentwicklung ist so entstanden. Wir profitieren gerade von der Entwicklung von Methoden in der angewandten Mikroökonomie. Das ist sehr wertvoll. In Zukunft könnten wir zum Beispiel die Methoden des maschinellen Lernens übernehmen und uns überlegen, wie sich dies bei den FLRS-Zentren fruchtbar einsetzen liesse, wenn wir grosse Datensätze verarbeiten müssen.